EUROPÄISCHES SEGEL-INFORMATIONSSYSTEM

Gorch Fock:
Reisebilder im Streiflicht Teil 4
In See: Von Kiel ins Kattegatt


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"Thalatta!Thalatta!
Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer!
Sei mir gegrüßt zehntausendmal,
Aus jauchzendem Herzen,
Wie einst dich begrüßten
Zehntausend Griechenherzen,
Unglückbekämpfende, heimatverlangende,
Weltberühmte Griechenherzen"



In See: Von Kiel ins Kattegatt.
Die Baltische See, die Ostsee ist ein Gewässer, auf dem schon sehr früh Seefahrt betrieben wurde. Obschon die Ostsee ein offenes Meer ist, gilt sie als Flachwasserrevier, die Wetterlagen sind vergleichsweise stabil. Der Charakter der Ostsee ist deshalb so nahe an dem eines Binnengewässers, wie es ein Meer in den gemäßigten Breiten nur sein kann.
Dieses Gewässer befuhren wir ab dem 16. September 1993.
Die Kieler Förde lag achteraus, immernoch rumorte der Antriebsdiesel im Achterschiff.
Widrige Winde zwangen die Schiffsführung zu der Entscheidung, bis zum Nachmittag weiter unter Motor zu laufen.
Der Lehrgang wurde zu dieser Zeit, eingeteilt in die Korporalschaften, in die Seeroutine eingewiesen.
Natürlich war zu diesem Zeitpunkt das Wort Routine dasjenige, daß mir als letztes zu den Abläufen einfiel. Handgriffe, die hundertmal geübt worden waren, fielen meiner Vorfreude auf das Segelsetzen zum Opfer und versanken in tapsiger Vergessenheit. Und meine Probleme waren klein im Vergleich zu denen, die den Ungeübten begegneten.
Für nicht wenige war dies das erste Mal, daß sie, abgesehen vom Kutterpullen, auf See waren. Entsprechend problematisch zeigte sich für diese der Umgang mit dem Schiff und sich selbst. Jeder, der einmal das Vergnügen hatte, auf einem größeren Segelboot zu fahren, welches auch noch ohne Stabilisierung durch seine Segel lief, hat selbst erfahren, wie schwer kurze Strecken an Deck einzuschätzen sind, wie schwierig die Feinmotorik  zu beherrschen ist, wie schnell sich die Planken des Decks ins Gesichtsfeld neigen.
Genau so erging es diesen armen Kadetten, mir selbst, ein wenig gewöhnt an die Unbilden stampfender Schiffe, wiederfuhr auch nichts besseres, einzig ich war gewarnt und klammerte mich fest an allem, was mir dazu stabil genug erschien.
So lässig verkrampft hing ich also an den Spinden unterdecks, wo uns die Korporäle die ersten theoretischen Unterrichte, in unserem Fall im Segelnähen, gaben.
Um 17.00 Uhr endlich geschah es. Der Wind drehte nicht nur, er frischte auch zu einer respektablen Brise auf.
Die Unterrichte wurden unterbrochen, alle Mann wurden an Deck gepfiffen.
Statt des erwarteten Segelsetzens stand uns aber eine Ansprache des Decksmeisters bevor.
Dieser Bootsmann findet seine Aufgabe und seine Hingabe in der Zuständigkeit für das Schiff selbst. Er ist verantwortlich für Deck, Aufbauten, stehendes und laufendes Gut und machte uns klar, daß er es als persönlichen Angriff verstünde, bedienten wir nur ein Teil falsch.
Stimmvolumen und die Deutlichkeit seiner Stimme paralysierten uns für eine Sekunde, so daß wir dem "Enter Auf" nicht unmittelbar nachkamen. Die Stimme der Maaten aber schaffte es, uns danach schneller denn je aufentern zu lassen.
So ließen wir das erste Mal die Segel zur Fortbewegung fallen.
Keine fünf Minuten später wurde der Antriebsdiesel ausgeschaltet und ich erlebte jenen Moment, nach dem ich mich so sehr sehne, seit ich segle.
Das einzigartige Gefühl der Ruhe, der Harmonie, daß sich meiner jedes Mal bemächtigt, wenn sich die Bewegungen des Schiffes vom brutalen stampfen des Maschinenbetriebes zum sanften abschwimmen der Wellen eines Seglers verändert, wenn das Schiff sich überlegt und so stabilisiert aufhört, unter dem Hebel seiner Aufbauten zu rollen. Und die Ruhe.
Eine Ruhe die schon bald unterbrochen war durch die Stimmen der Maaten, die uns, die wir nicht der segelnden Wache angehörten, wieder zum Unterricht riefen.
Doch bald danach wurde "Backen und Banken" ausgepfiffen, wir wurden zum Essen gerufen.
Und endlich konnte ich einen Blick auf die nun im Abendrot glänzenden Segel werfen, die, von einer leichten Brise gebläht, mein Leben, zusammen mit der Gorch Fock, weiter in die Deutsche Bucht bringen würden.
  Jan Janssen
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