EUROPÄISCHES SEGEL-INFORMATIONSSYSTEM

Gorch Fock:
Reisebilder im Streiflicht Teil 2



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"Weiß ist das Schiff das wir lieben..." [Refrain des Gorch Fock Liedes]
Bericht von Jan Janssen

Segelvorausbildung


Die langen Tage der Segelvorausbildung waren erfüllt von Neuem und von Vorfreude.
Die allermeisten Teilnehmer des Lehrgangs waren noch nie oder nur sporadisch an Bord eine Bootes, geschweige denn eines Windjammers.
Die Schwere der Arbeit, die verrichtet werden mußte, tat ihr Übriges. Selbst die Hartgesottensten in unseren Reihen waren froh, sobald Dienstschluß ausgepfiffen wurde.
Die Tage waren gezeichnet vom Lernen praktischer Fähigkeiten, die Hände von einem Vorgeschmack auf die Blasen, die wir noch bekommen sollten.
Wir wurden eingewiesen in das stehende und laufende Gut der Gorch Fock, in die Unterschiede der 186 Belegnägel, in den Unterschied zwischen solchen aus Messing, aus Eisen und aus Holz, wir wurden in die Sicherheitseinrichtungen der Gofo eingewiesen und in die Handhabung der Pickbleche, metallener Tabletts mit Mulden für die einzelnen Speisen.
In den ersten Tagen fühlte ich mich stark an die Filme über amerikanischen Strafvollzug erinnert, was mir diese Bleche etwas suspekt machte. Sehr bald aber fühlte ich mich an M*A*S*H* erinnert, wo ebensolche Tabletts zum Einsatz kommen. Den Sieg erlang das Pickblech aber, als bei Seegang,
...aber auch hiervon später.
Seit jeher ist die Mittagspause in den Marinen der Welt heilig, es stellt ein Sakrileg dar, ohne drängende und dringliche Gründe diese Pause anzugreifen.

Auf See.

Im Hafen hingegen hat die Hafenwache durchgehend Dienst. In den ausgedehnten Mittagspausen unserer Segelvorausbildung beschäftigte sich die Crew VII93 mit Flundern.
Auf der Flunder, einem einfachen Stück Papier, ist das gesamte stehende und laufende Gut der Fock verrzeichnet.
Trotzdem beherrschten wir dieses Wissen nie gut genug, um Korporäle ind Bootsleute zu befriedigen. In keiner Hinsicht.
Sobald dann  zum Dienstschluss gepfiffen wurde, gingen die Strapazen weiter. Wir, zumindest der harte Kern, betrieben aktiv den Ausgleichssport Landgang. Eine Angewohnheit, die mir bis heute sehr schwer fällt, abzugewöhnen.


Mir ist kein regelmäßig wiederkehrendes Ereignis bekannt, das gerüchtumrankter ist als der Landgang. Je weiter das Individuum vom Kern und Leben der Marine entfernt ist, desto weniger glaubt es der Fama. Der Landgang ist ein nahezu sakraler Akt.
Schnöder Asphalt erstreckte sich unter unseren Sohlen. Gerade eben war die Dienstzeit eines weiteren Tages unserer Segelvorausbildung vergangen, wir hatten uns "Von Bord" gemeldet. Bis 23.00 Uhr gehörte unser Körper wieder uns, die gewohnte Kraft, an der es ihm mangelte, machten wir durch unseren Elan mehrfach wett. Dies war einer der letzten Abende vor Auslaufen, einer der letzten Abende, die wir in Zivil verbringen durften.
Unser Alter, unsere Situation verleiteten uns zu der Annahme, an solchen Abenden existiere die Stadt Kiel nur für uns. Und ließ uns danach handeln.
An diesem Punkt trennten sich die Wege derjenigen, die den Tag über noch am gleichen Tampen rissen. Die einen zog es zu lauter Musik, die anderen zog es, ...naja, zum Tampen reißen.
Vielleicht zum letzten Mal waren die Gruppen die gleichen wie in der Grundausbildung, zu intensiv würden die gemeinsamen Erlebnisse in den Wachen sein. In den Häfen würde kaum irgendjemand mehr seine Zeit mit Kameraden von außerhalb der Wache verbringen.
Wir genossen die letzten Tage auf dem Festland wie es zu geschehen hatte. Jeder nach seiner Facon und ohne Schaden zu verursachen, außer gegen sich selbst.
Nach aller Dekadenz, nach allen Ausschweifungen, die mein zu junges Hirn in seiner Morbidität ausbaldowert hatte, erwartete mich am nächsten Tag doch nur das Schrillen der Pfeife.


Die Blasen an den Händen begannen anzuheilen, schwielig zu werden. Jeder kannte seine Rolle, seine Aufgaben, seine Pflichten. Jeder wußte um seine Station und das Vertrauen, das jeder andere in ihn setzte. Jeder, Mann wie Frau, konnte mit geschlossenen Augen in die Takelage aufentern, jeder Tampen war bei seinem Namen bekannt.
Es war an der Zeit, daß die Reise, und mit ihr mein Bericht, endlich begann.
Jan Janssen

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