1. Unerwartete Nordlage an der Ostküste Korsikas
2.1. Wetterberichte im westlichen Mittelmeer
2.2. Von einem Mistral im Golf de Lion erwischt - was tun ?
2.3. nächtliche Beruhigung des Mistral - ein weit verbreiteter und manchmal folgenschwerer Irrtum
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Die Ostküste Korsikas ist nicht besonders populär unter Seglern. Zu Recht. Der südliche Abschnitt der Ostküste wird hingegen gerne besucht. Ja, er ist in mancherlei Hinsicht sogar attraktiver als die Westküste, weil man dort in einer Reihe von gemütlichen und romantischen Ankerbuchten mit teilweise hervorragenden Sandstränden gute Deckung und sicheren Schutz vor Libeccio und Mistral findet. Und bei Flaute geht's ab in die nahe gelegene Strasse von Bonifacio. Dort weht meist immer noch eine frische Brise.
Es gibt jedoch eine ausgesprochen unangenehme Nordlage an der Ostküste, auf die die meisten Segler - bis auf die einheimischen - nicht eingestellt sind auf ihren gemütlichen und sicheren Ankerplätzen (oder auf ihrem Rückweg unter Termindruck nach Elba).
Die Situation entwickelt sich etwa so : Eine durch Mistral und Genuatief geprägte Starkwindperiode mit vorherrschend westlichen Windrichtungen geht zuende. Der Revierkundige merkt das u.a. daran, dass das Genuatief in Bewegung gerät und langsam nach Südosten abzuziehen beginnt. Die Wetterberichte melden das. Das abziehende Genuatief bringt auf seiner Rückseite aber früher oder später für die korsische Ostküste küstenparallele nördliche Winde mit sich, die gelegentlich auch im Sommer recht heftig werden können und aus dem Stand innerhalb von 10 Minuten von null auf sechs bis sieben Windstärken auffrischen können - aus einer Richtung, mit der zu dieser Jahreszeit niemand rechnet. Am unangenehmsten ist es natürlich, wenn diese Erscheinung nachts oder gegen Morgen auftritt. Aber auch tagsüber kann dann aus einem gemütlichen Törn ein Kampftag werden.
Manchmal dauert der Spuk nur wenige Stunden, kann aber leider auch über mehrere Tage gehen. Ist diese Nordlage vorbei, beginnt in der Regel die nächste hoffentlich lange Schönwetterperiode, bis Mistral und Genuatief erneut ihr hartes Regime errichten.
Die Wetterberichte kündigen diesen Nordwind nicht immer deutlich genug an. Die Einheimischen und Revierkundigen kennen ihn jedoch als klassischen Teil des Wetterzyklus der Region.
2. Zum Thema Mistral
2. 1. Wetterberichte im westlichen Mittelmeer
Im Westlichen Mittelmeer (das "schlicht zu den gefährlichsten Seegebieten der Welt gehört" so Bobby Schenk über den Golf de Lion) gibt es für Nicht-Franzosen ein
mittleres Problem: Die einzigen Wetterberichte, die wirklich etwas taugen, wenn es um die Frage aller Fragen geht (Kommt der Mistral oder kommt er nicht - wann
genau kommt er - wann geht er - wie stark wird er wehen?) sind die französischen. Die Franzosen haben aber ein - sagen wir mal - liebevolles Verhältnis zu ihrer Sprache
und geben ihre Wetterberichte unbeirrbar nur auf französisch heraus. Das gilt sowohl für UKW als auch für Kurzwelle. Selbst in der Hochsaison und bei Starkwind- und
Sturmwarnung. Nicht einmal eine abschliessende englische Zusammenfassung gibt es.
Ausweichen auf italienische, englische oder deutsche Wetterberichte ist aber nicht ungefährlich, da diese in der zentralen Frage (siehe oben) keine hinreichende Kompetenz haben. (Wahrscheinlich weil die Franzosen früher über die lokalen Messdaten verfügen, die für eine verlässliche und stundengenaue Vorhersage ausschlaggebend sind.) Auch Barometer und Himmelsbeobachtung bieten keine zuverlässige Hilfe. (Westlich von Toulon steigt das Barometer vor dem Ausbruch des Mistral oft sogar leicht an.) Also was tun?
Man sollte - womöglich - . . .
a) versuchen, mit Radio Monaco in Kontakt zu bleiben. Dort wird sowohl auf UKW als auch auf Kurzwelle der französiche Wetterbericht im Wortlaut wiederholt und anschliessend ins Englische übersetzt.
b) Hafenpersonal, Steg- oder Buchtnachbarn direkt fragen, vor allem wenn man einen grösseren Törn vorhat.
c) dem Sprechfunkverkehr mit den Leuchttürmen zuhören oder diese selbst
ansprechen - falls sie noch besetzt sind. Dort wird auf Wunsch auch englisch gesprochen - in der Regel.
d) sein bisschen Französisch reaktivieren, die paar -zig einschlägigen Vokabeln
lernen und vor allem im Hörtraining mit aufgezeichneten Beispielen trainieren.
e) beachten, dass die Berichte nicht immer pünktlich rüberkommen. Sie können nicht nur hin und wieder grosse Verspätung haben, sondern werden leider
manchmal auch einige Minuten VOR dem angegebenen Termin abgesetzt. Die Ankündigung auf Kanal 16 erfolgt aber ausnahmslos immer.
Und wenn der französische Wetterbericht für das Seegebiet westlich Korsika einen
Wind aus West oder Südwest Stärke 4-5 ausdrücklich ankündigt, kann man das durchaus als erste höflich-dezente Andeutung einer möglicherweise in den nächsten
Tagen bevorstehenden Starkwindlage verstehen. Vor allem aber dann, wenn nach einer längeren Schönwetterperiode von 'gewittrigen Störungen' die Rede ist, die 'vom Atlantik her heranzuziehen beginnen'. Mindestens ein oder zwei Tage wird es dann aber schon noch dauern und vielleicht passiert auch gar nichts. (Der Begriff Mistral -
oder auch Tramontane - wird übrigens im Wetterbericht nie benutzt.)
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2. Von einem Mistral im Golf de Lion erwischt - was tun ?
- versuchen, trotz allem den beabsichtigten Kurs zu fahren?
- oder schnellstens kehrt und gegenan zurück an die Côte d'Azur oder vor dem Wind ablaufen?
- oder beidrehen?
oder was ???
Der Mistral entwickelt eine solche Gewalt und vor allem eine solch steile und ständig brechende Welle, dass die französischen Segler auch grösseren Schiffen von all diesen
Strategien abraten. Ihre Empfehlung: am besten noch bevor es richtig losgegangen ist versuchen, seitlich auszubrechen. Also zum Beispiel auf Steuerbordbug abrauschen
nach NordOst in Richtung Riviera, wenn man sich gerade auf einer Überfahrt von der Côte d'Azur nach Korsika befand. Keinesfalls versuchen, vor dem Sturm abzulaufen
und Calvi oder Ajaccio anzusteuern. Oder auf Backbordbug ab nach Südwest in Richtung spanische Küste, wenn man auf dem Weg zu den Balearen war.
Die zentrale Zone der wirklich extremen Windstärken ist bei Mistral nämlich recht eng begrenzt. Sie greift meist in langgestreckter Zungenform etwa von Nordwest nach Südost (ganz grob die Linie Marseille - Nordsardinien oder auch Balearen) in den Golf de Lion hinaus und ist oft nur wenige Meilen bis -zig Meilen breit aber 100 und mehr Meilen lang. Sie schwenkt oft im Verlauf langsam immer mehr in Richtung Nordkorsika (Balagne / Cap Corse) um danach abzuschwächen. Wer also vor dem Wind nach Südosten abzulaufen versucht, läuft Gefahr, in dieser Extremzone zu verbleiben oder in sie hinein zu geraten und in eine problematische Lage zu kommen. Denn je länger der Mistral weht und je weiter der Fetch (also die Entfernung von der französischen Küste) ist, umso unangenehmer wird die Welle. Einige Meilen links oder rechts von dieser Sturmzunge hingegen sind die Verhältnisse zwar noch schwierig genug, aber handhabbar.
Nach allem was man hört, erübrigen sich Diskussionen über beidrehen oder gar
gegenan ('Moitessier-Kurs') bei Mistral. Diese Sturmstrategien werden durch die spezifische Form der Welle bei Mistral ganz einfach unmöglich.
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2. 3.nächtliche Beruhigung des Mistral - ein weit verbreiteter und manchmal folgenschwerer Irrtum
Nachts beruhigen sich in aller Regel Wind und Welle erheblich. Das ist eine Grunderfahrung des Küsten-Skippers im westlichen Mittelmeer, die zu allen
Jahreszeiten und bei nahezu allen Wetterlagen gilt. Und wenn schon das Fahrtziel in der 'falschen' Richtung liegt und wir womöglich motoren müssen, dann lieber nachts.
Das hat eine ganze Reihe von Vorteilen - so die durchaus korrekte Schlussfolgerung.
Diese in Küstennähe gewonnene Erfahrung und die darauf beruhende Entscheidung zugunsten von Nachtfahrten kann bei Mistral üble Folgen haben. Die scheinbare nächtliche Beruhigung des Mistral betrifft nämlich nur das Land sowie einen mehr oder weniger schmalen Streifen an der Küste. Draussen - das heisst nur wenige Meilen vom plötzlich angenehm ruhig gewordenen Liegeplatz im Hafen oder in der Bucht entfernt - bläst der Mistral mit uneingeschränkter Kraft weiter, auch bei Nacht.
Wenn man zum Beispiel bei dieser Wetterlage abends irgendwo von der südfranzösischen Küste aus aufbricht, ein Stückchen zu weit hinaus gerät und der Starkwind einen erst einmal erfasst hat, ist schnell ein 'point of no return' passiert und an einen Rückzug nicht mehr zu denken. Den revierfremden Gästen an Bord ist das alles nicht bekannt und es gehört zu den unangenehmen Aufgaben eines verantwortungsvollen Skippers, in einer solchen Situation allen, die da drängeln und mehr oder weniger offen an seiner Kompetenz und seinem Mut zu zweifeln beginnen, entschlossen zu widerstehen und den 'ruhigen' Liegeplatz nicht zu verlassen, bis die Sturmwarnung aufgehoben ist.
Und den in der einschlägigen Literatur verbreiteten besonderen
seglerischen Leckerbissen einer schnellen Rauschefahrt 'auf dem Schwanz' des ausklingenden Mistral hinüber nach Korsika sollte man lieber den gewieften einheimischen Seglern mit ihrem in Jahrzehnten erworbenen 6. Sinn für diese Wetterlage überlassen.