AUCKLAND - Der schwarze Bug der gegnerischen Jacht schiesst wie ein Ungetüm aus einer alten Seefahrerlegende auf uns zu. Gischt spritzt. Dean Barker, der Skipper auf unserem Boot, luvt an, dreht mit seiner 25 Meter langen Jacht einen wilden Kreisel. Der Gegner dicht hintendran. Ich klammere mich am Heck an der Bordkante fest. Die Kräfte, die auf diesen hochgezüchteten Rennjachten wirken, sind gigantisch. Irgendwo habe ich gelesen, ein America's-Cup-Boot generiert genug Schub, um 15 Wasserskifahrer hinter sich her zu ziehen.
Ich bin an Bord der Jacht Team New Zealand mit der Segelnummer 82, und meine wichtigste Aufgabe ist es, den 16 Seglern des Teams nicht im Weg zu stehen. Die Sonne scheint auf dem Hauraki Golf, der Wind bläst moderate 15 Knoten (rund 27 km/h), ideale Bedingungen. Für die Segler von Titelverteidiger Neuseeland ist es ein weiterer von über 100 Trainingstagen auf dem Wasser. Am kommenden Samstag beginnt der America's Cup gegen die Schweizer Jacht Alinghi. Und da es ein ungeschriebenes Gesetz gibt, dass keiner der einst neun Herausforderer Trainingsfahrten gegen den Cupholder segelt, damit ihm diese Vergleichstests fehlen, bleiben den Neuseeländern einzig die Tests mit ihren eigenen Schiffen.
Einmalige Chance für junge neuseeländische Segler-Generation
Die Jacht mit der Segelnummer NZ 81 steuert der Franzose Bertrand Pace, der mit Frankreich schon viermal am America's Cup teilgenommen hat. Diesmal hat er aber bei Team New Zealand einen Dreijahresvertrag unterschrieben, sozusagen als Testpilot. Denn im Wettkampf steuert Barker das neuseeländische Schiff, auf das alle in diesem segelbegeisterten Land so immense Hoffnungen setzen. Beim America's Cup 2000 hatte Barker die Rolle von Bertrand Pace im neuseeländischen Team. Er segelte Dutzende von Trainingsrennen gegen Russell Coutts. Und er gewann rund die Hälfte davon, wie Coutts bestätigte. Doch seit dem 19. Mai 2000, als Coutts seinen Weggang von Team New Zealand bekannt gab und bei Alinghi anheuerte, ist der29-jährige Barker der Skipper, der die älteste Sporttrophäe in Neuseeland halten soll. Zu den Polemiken um den im eigenen Land als «Verräter» verschrieenen Coutts gibt sich Barker zurückhaltend. «Ich verstehe die Enttäuschung in unserem Land. Aber der Zeitpunkt ist längst gekommen, um nachvorne zu schauen. Der Weggang von Coutts und all den andern Crewmitgliedern hat einer ganzen Generation von jungen neuseeländischen Seglern die einmalige Chance gegeben, ihr Können beim America's Cup zu beweisen.»
Wird Barker dem Druck standhalten können? Bei unserem Testlauf hat er den Start gegen Bertrand Pace verloren, wir segeln etwa zwei Bootslängen hinter dem Boot NZ 81 her. Mike Drummond, der Navigator, steht unmittelbar neben mir und blickt auf den Bordcomputer. Er schlägt vor, zu wenden, und Taktiker Hamish Pepper stimmt zu. Dean Barker gibt das Kommando, dreht am Steuer und vorne wuchtet der 2-Meter-Mann Rob Waddell als Grinder mit aller Kraft an den Hebeln. An den Olympischen Spielen in Sydney 2000 hatte Waddell im Skiff Gold gewonnen und dabei auch Xeno Müller geschlagen. «Im Rudern habe ich alles gewonnen, das ist für mich eine ganz neue Herausforderung», sagte Waddell, der nun mit seiner Muskelkraft dazu beiträgt, das 215 Quadratmeter grosse Hauptsegel dicht zu nehmen.
Ein Mast so hoch wie ein zehnstöckiges Hochhaus
Die Wendemarke kommt in Sicht. Die Crew auf dem Boot NZ 81 vor uns wirbelt, setzt den Spinnaker. Auch bei uns kommt Bewegung an Bord. Wir haben Distanz zum Gegner gutgemacht, sind dicht auf, und als sich das 500 Quadratmeter grosse, ballonähnliche Segel vom Wind bläht, blicke ich in eine riesige, weisse Wand aus Segeltuch. Ich schaue hoch an den Mast, der über Deck rund 33 Meter - so weit wie ein zehnstöckiges Hochhaus - in den Himmel ragt.
Um auf diesen Booten schnell zu sein, müssen alle 16 Segler an Bord die gleichen Gedanken haben, die gleiche Dynamik entwickeln, meint Barker. Seit über einem Jahr arbeiten die Neuseeländer nun daran. Aber im Gegensatz zum Alinghi-Team, das auf dem Weg in den America's Cup 25 von 28 Rennen gewann, hat diese neue Crew von Neuseeland noch keinen einzigen Wettkampf zusammen gesegelt.
Viel Glück wünschte ich beim Abschied Taktiker Hamish Pepper. Der hielt für eine Sekunde inne und entgegnete: «Danke, aber dir kann ich kein Glück wünschen, du bist ein Schweizer.»
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