EUROPÄISCHES SEGEL-INFORMATIONSSYSTEM

Einführender Kommentar
in die neuen WR

von Uli Finckh



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Neues Regelwerk für die Regattaszene
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Turnusgemäß nach den Olympischen Spielen hat der internationale Dachverband das Regelbuch
überarbeitet. Dabei ist "Überarbeitet" ein sehr schwacher Begriff für diese radikale
Umstrukturierung.
Die schöne Thekengeschichte, als man die anderen Yachten mittels der Regel 43.2(a)(II) zum
Wenden zwang ...., sollte man in den nächsten Monaten besser nicht erzählen, wenn man nicht in
Gefahr geraten will, sich restlos zu blamieren. Der Begriff "Yacht" scheint im
Englischen einen faden Beigeschmack bekommen zu haben. Zunächst hat der Dachverband
seinen Namen in IYRU in (Internationale Yacht-Regatta-Vereinigung) zu ISAF (Internationaler Segel-Verband) geändert.
Nun wurde auch im Regelwerk, das vereinfacht Wettfahrtregeln (WR) heißen soll, die "Yacht" gestrichen und durch das Wort "Boot" ersetzt.
Nun aber zum Inhalt und Aufbau:
In den neuen wesentlich kürzeren WR hat keine Regelnummer mehr die gleiche Bedeutung wie in
den alten IWB. Grundlage sind die in den letzten vier Jahren erprobten und jährlich geänderten
Experimental Rules. Diese eigentlichen Ausweichregeln stehen nun gleich am Anfang nach den
Grundregeln, so daß der unbefangene Leser gleich am Anfang des Buches merkt, was Sache ist und
nicht mehr durch einen Wust unwesentlicher Formalien abgeschreckt wird. Daran schließen sich im
Hauptteil der WR all diejenigen Teile an, die alle Teilnehmer an Wettfahrten betreffen.
Der zweite Teil besteht aus 15 Anhängen. Diese legen Einzelheiten der Regeln, wie das
Punktsystem, zugelassene Werbung, Segelkennzeichnung, etc. Fest und sind nur für bestimmte
Teile des Wettsegelns, wie Segelsurfen, Match-Racing, Segeln mit ferngesteuerten Booten, etc.,
anzuwenden oder sind nur für einen bestimmten Personenkreis von Bedeutung, wie z.B. Regeln zur
Erstellung von Ausschreibung- und Segelanweisung oder Empfehlungen für Schiedsgerichte.
Inhaltlich ist eine solche radikale Kürzung und Umstrukturierung natürlich auch mit Änderungen
verbunden. Diese sind aber geringer als ursprünglich befürchtet.

Nach wie vor unterscheidet man fünf Grundsituationen:
Situation Regel Boot mit Wegerecht Ausweichpflichtiges Boot Wind von verschiedener Seite 10 Boot mit Wind von Stb. Boot mit Wind von Bb. Wind von gleicher Seite nebeneinander 11 Leeboot Luvboot Wind von gleicher Seite hintereinander 12 Boot klar voraus Boot klar achteraus Wende/ 13, Nicht wendendes Boot Wendendes Boot Beginn Übergang des 15, Passives Boot Aktives Boot Wegerechts /Kurswechsel 16 Passives Boot Aktives Boot Bahnmarken / Hindernisse 18.2 Innenliegendes Boot Außenliegendes Boot Die anderen Situationen kann man diesen Regeln als Zusatz oder Ausnahmeregeln zuordnen, oder
als Klarstellung, welche Regel Vorrang hat, wenn zwei Grundsituationen gleichzeitig zutreffen.
Dabei sind nur folgende Situationen beschrieben und wie geklärt:
Situation Regel Zusatz-, Ausnahmeregel bzw. Klarstellung Kollisionsgefahr 14 Zusatz: Auch das Wegerechtsboot muss eine Berührung vermeiden Überholen in Lee 17 Zusatzeinschränkung für Lee- und Luvboot Startbahnmarke 18.1(a) Klarstellung des Regelkonflikts: Innen vor außen gilt nicht Luvbahnmarke und 18.1(b) Klarstellung: Entgegengesetzter Bug hat Vorrang vor 'Innen vor Auß' Es gibt Zusatzeinschränkungen für ein wendendes Boot Wende dort 18.3 Achteraus an Bahnmarke 18.2(b) Klar achteraus muss sich freihalten, klar voraus aber beim Wenden! Halse um Bahnmarke 18.4 Einschränkung für innenliegendes Boot, baldmöglichst zu halsen Langes Hindernis 18.5 Klarstellung der Rechte Wende an Hindernis 19.1 Klarstellung des Verfahrens für Raum zum Wenden Vogelfreisituationen 20, 22 Wegerechtsaufgabe bei Strafdrehungen und Startumkehr Schutzsituationen 21 Klarstellungen für Not- und Problemsituationen

Fragt man nach Änderungen, die ein anderes Verhalten des Seglers auf der Bahn bewirken, so ist wohl die wesentlichste, dass die bisherigen Regeln für das Luvrecht (IWB 38, 39.2 und 40) in keiner Weise mehr auftauchen und auch IWB 39.1 und 39.3 nur in abgeschwächter Form in WR 17 wiederzufinden sind. Das besagt, dass die schwierigen Mastquerabsituationen und die Unterscheidung zwischen Situationen vor dem Start und Start entfallen. Dadurch liegen praktisch alle Rechte beim Leeboot. An diesem Beispiel, das sowohl vor dem Start als auch nach dem Start wesentliche Änderungen bringt, kann am sehr schön die Verzahnung von verschiedenen Regeln und ihren Zusammenhang mit den Definitionen (früher Begriffsbestimmungen genannt) erkennen.
Die Basis-Regel 11 lautet:
Bei Booten mit Wind von der gleichen Seite, die überlappen, muss sich das Luvboot vom Leeboot freihalten
Dabei ist zusätzlich die Definition "Freihalten" zu beachten! Ein Boot hält sich frei von einem anderen, wenn das andere Boot seinen Kurs segeln kann, ohne Ausweichmaßnahmen ergreifen zu müssen, und wenn mit Wind von der gleichen Seite überlappenden Booten das Leeboot den Kurs ändern könnte, ohne sofort Berührung mit dem Luvboot zu bekommen.
Erst Durch diese Definition wird klar, dass das Luvboot stets ausreichen Platz zum Leeboot halten muss, wenn es nicht eine Disqualifikation riskieren will. Es ist aber nicht so, dass das Leeboot wie früher nach Belieben luven kann, sondern es wird durch Regel 16 eingeschränkt, die lautet:
Ändert ein Boot mit Wegerecht den Kurs, so muss es dem anderen Boot Raum zum Freihalten geben.
In dieser Regel steckt wieder die Definition "Freihalten" und zusätzlich die Definition "Raum", die lautet:
Raum ist der Platz, den ein Boot unter den gegebenen Umständen benötigt, um unverzüglich in guter Seemannschaft zu manövrieren.
Die Auswirkung dieser Regeln für die Wettfahrt sind dabei wohl folgende:
Nach dem Start kann das Leeboot auch nach der bisherigen Mastquerab-Position noch luven, nur sehr plötzliches Luven bis hin zur Berührung (Abschießen des Luvboots) ist aufgrund von WR 16 nicht mehr erlaubt. Die wohl gravierendere Auswirkung ist die wesentlich stärkere Position des Leebootes am Start. Die bisherigen Einschränkungen sind nahezu vollständig weggefallen. Das an der Linie wartende Boot, und das war wohl der Normalfall, hat es nun schwer, sich regelkonform gegen den mit Schwung von Lee kommenden Lückensucher zu behaupten. Dies wird das Starten noch schwieriger machen und die Wettfahrtleiter müssen mit häufigeren Frühstarts rechnen. Nach diesem Beispiel für das Wegerecht ein paar Bemerkungen über den Wettfahrtablauf, wie er von den Wettfahrtleitungen durchzuführen ist.
Auch in diesem Bereich sind Dinge entschlackt worden und einige bisher durch die Segelanweisungen eingesetzte Verfahren wurden in den Hauptteil der WR aufgenommen. So wird nun die Schwarze-Flaggen-Regel direkt dort beschrieben und muss nicht erst in den Segelanweisungen formuliert werden. Auch die Entlastung mit einer 720 -Drehung wird in den neuen WR als der Normalfall angenommen und muss nicht mehr durch die Segelanweisung in Kraft gesetzt werden. Die Beschreibung der Signale wird nun sehr übersichtlich in einer Signalliste festgelegt, so dass auch hier erhebliche Längen im Regeltext entfallen.
Bei der Wettfahrt-Auswertung bekommt der erste nun im Low-Point-System, das des DSV empfiehlt, einen ganzen Punkt, was sich wegen des Auflösungsverfahrens von Punktgleichheiten überhaupt nicht auswirkt. Zusätzlich wurde nun die bisherige deutsche Sonderregelung für die endgültige Auflösung der Punktgleichheit in leicht abgewandelter Form direkt übernommen, so dass die DSV-Regelung überflüssig geworden ist.
Nachdem ich mich nun mit dem neuen Regelwerk schon recht intensiv befaßt habe, kann ich nur ein Kompliment an das Racing-Rules-Committee in England machen: Einmal ein Ausschuss, der saubere Arbeit geleistet hat.
Uli Finckh
Mitglied im DSV-Wettsegelausschuss