EUROPÄISCHES SEGEL-INFORMATIONSSYSTEM

Vom sicheren Port lässt sichs gemählich raten

YACHTREVUE MAI 1998 - Judith Duller-Mayrhofer


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Hanakamps dramatische Rettungsaktion vor Koper sorgte unter Seglern wochenlang für Gesprächsstoff. Wir baten die Leserschaft um Feedback.


Rekapitulieren wir noch einmal die Tatsachen: Im Rahmen eines Regatta-Trainings ging die slowenische Seglerin Vesna Dekleva Anfang Dezember in der Bucht von Koper nach einer Patenthalse über Bord einer Justin Ten. Trotz der Anordnung der Skipperin trug sie keine Rettungsweste. Weder Rettungsringe noch andere Sicherheitsmittel noch Funk oder Telefon waren verfügbar, die nicht motorisierte Yacht, wegen eines Ruderschadens manövrierunfähig, trieb rasend schnell ab. Kurz entschlossen sprang der Leiter des Trainings, Andreas Hanakamp, in das 12=B0 kalte Wasser und schwamm, ausgerüstet mit einem Trockenanzug aber ebenfalls ohne Rettungsweste, rund eineinhalb Stunden lang ans Ufer, wobei er Dekleva mit sich zog. Die stark unterkühlte Seglerin verbrachte zwar einige Tage im Spital, kam aber ohne bleibende Schäden davon.

Anläßlich dieses Vorfalls, der böse hätte ausgehen können, baten wir unsere Leser um ihre Meinung und erhielten daraufhin eine Menge Briefe.


Am häufigsten wurde darin die mangelnde Ausrüstung der Yacht kritisiert, und so mancher sparte nicht mit harten Worten: Wenn es diese Mickymaussegler schon zuwege bringen, eine Justin Ten bei 5 Beaufort aufs Ohr zu legen, dann sollten Sie sich Ihrer Schwächen bewußt sein und wenigstens die notwendigsten Rettungsmittel wie MOB-Boje, Rettungsring mit Leine, Schwimmwesten und Lifebelts mitführen und benützen, wäscht etwa H. Riedmann aus Mittersill, der laut eigener Aussage rund 95.000 Seemeilen auf seinem Salzbuckel hat, der Hanakamp-Truppe gründlich den Kopf, und Werner Marsano, Präsident des UYC Neusiedl, wundert sich: Wie ist der Umstand, daß kein Rettungsring an Bord war, überhaupt zu erklären? Wo bleiben die Sicherheitsbestimmungen? Auch unser jüngster Leserbrief-Schreiber, der 14jährige Robert Schwarz aus Perchtoldsdorf, kennt keine Gnade: Es ist mir unverständlich, daß keine Rettungsringe an Bord waren. Warum kein Notsignal gegeben wurde, ist mir ebenfalls schleierhaft. Waren etwa auch keine Signalraketen an Bord? Ich finde diese SeglerInnen sollten in Revieren segeln, die ihrer Seemannschaft entsprechen, zum Beispiel mit dem Optimisten auf der Alten Donau.


Kopfschütteln herrscht vielfach auch angesichts der Weigerung Deklevas, die Rettungsweste anzulegen, obwohl Skipperin Petra Kliba dies angeordnet hatte. Es gibt kein „dezitiertes Ablehnen" oder? fragt Dr. Claudius Egger aus Neumarkt am Wallersee und fügt hinzu: Immerhin haben wir alle gelernt, daß der Skipper das Sagen hat und schließlich auch die Verantwortung trägt. In die selbe Kerbe schlägt Heinz Rydlo aus Krumpendorf: Wenn der Skipper das Anlegen der Schwimmwesten anordnet, dann haben das gefälligst alle zu tun findet der Kärntner, obwohl die fehlende Schwimmweste für ihn nicht das Hauptproblem ist: Unter der Annahme, daß mich kein Schiff innerhalb der nächsten 20 Minuten aufnehmen kann, habe ich bei 12=B0 Wassertemperatur mit Schwimmweste keine besseren =DCberlebenschancen als ohne, glaubt er, ich kann nur versuchen, so rasch wie möglich das Ufer zu erreichen, und dabei behindert die Schwimmweste. Diese Meinung teilt auch Gert Finotti aus Wien: Eine Rettungsweste ist nur von Nutzen, wenn Aussicht besteht, geborgen zu werden, sonst verlangsamt sie das Schwimmen. Finotti hält vielmehr das anfängliche Fehlverhalten der über Bord gegangenen Seglerin für die Wurzel allen =DCbels: Dekleva hat nicht mit der Einsicht, Energie und Entschlußkraft gehandelt, die man eigentlich von einer Olympiateilnehmerin erwarten sollte. Kurz nach ihrem Sturz ins Wasser kann sie nicht sehr weit vom Boot entfernt gewesen sein – schließlich gelang es ja auch anderen Crewmitgliedern, Boot oder Segel zu erfassen. Dekleva hätte sofort mit aller Energie zum Boot schwimmen müssen, statt dessen hat sie passiv auf Rettung gewartet. Man kann ihr nur zugute halten, daß sie nicht voraussehen konnte, daß das Boot unsteuerbar sein würde.


An genau diesem Punkt hakt der gestrenge Herr Riedmann ein: Mit ein wenig Ahnung von Seemannschaft wäre es der Crew ein Leichtes gewesen, auf einem Schiffstyp wie der Justin Ten das Groß zu bergen und den Baum als Ruder festzulaschen, glaubt er, den Stein der Weisen gefunden zu haben, das Boot wäre innerhalb kürzester Zeit unter Fock und Notruder wieder manövrierfähig gewesen!


Unsere Leser beschränkten sich aber nicht nur auf konkrete Vorschläge, was man hätte besser machen können, sondern stellen auch grundsätzliche =DCberlegungen an: So wie wir bestimmtes Obst und Gemüse unbedingt ganzjährig haben müssen, wird auch Spitzensport gegen alle Jahreszeiten betrieben, philosophiert etwa Heinz Rydlo, an einem normalen Sommertag wäre der Vorfall nicht halb so dramatisch gewesen, aber bei 12=B0 Wassertemperatur wird es eben sofort lebensgefährlich. Dr. Michael Sturm aus Baden kann dem nur beipflichten: Im warmen Wohnzimmer zu Hause plant es sich leicht, warnt er, der das Angebot einer Justin Ten für den Ice Cup dankend abgelehnt hatte, der Sommer ist noch im Kopf, es riecht nach Meer und Sport, aber der Golf von Triest ist keine Badewanne.


Herbe Kritik übt Heinz Rydlo auch an der in den Vorfall verwickelten Justin Ten. Diese modernen, selektierten Rennschüsseln, bei denen die Konstrukteure das Wort Sicherheitsfaktor als Diskriminierung betrachten! Man geizt mit Gewicht und Ausrüstung und dimensioniert so schwach wie theoretisch gerade noch denkbar, nur um eine Spur schneller zu sein. An einem Tag brechen gleich bei zwei Schiffen die Ruderachsen! Bei 30 Knoten Wind darf einfach noch nichts brechen. Sicher, eine hochkarätige Crew nimmt ihre Schiffe anders ran als Sonntagssegler, aber dafür, verdammt noch mal, sollten sie doch gebaut sein! entrüstet sich Rydlo.


Relativ einhellig fiel das Urteil über das gewagte Rettungsmanöver des verantwortlichen Trainers Hanakamp aus. Zwar fragen sich einige, warum ein so erfahrener Hochseesegler die Sicherheitsmißstände an Bord unwidersprochen hingenommen habe, der für Deklava lebensrettende Sprung ins kalte Wasser ringt aber fast allen Bewunderung ab. Hut ab vor der Leistung von Andreas Hanakamp, der sich mit dieser Rettungsaktion selbst in Lebensgefahr begab, lobt etwa Werner Marsano. Heinz Rydlo wiederum formuliert: Meine tiefe Verbeugung vor der selbstlosen Rettungsaktion Andreas Hanakamps, der mit großem persönlichem Einsatz seinem Crewmitglied das Leben rettete. Für mich ein typischer Fall für einen Maria-Theresien-Orden. Und Dr. Claudius Egger meint: Meine Hochachtung für Andreas Hanakamp, der Mann hat nicht nur Format, sondern offensichtlich auch eine beneidenswerte Kondition!


Nur der Mittersiller Riedmann läßt auch an Hanakamp kein gutes Haar: Die geschilderte, nicht notwendige Rettungsaktion halte ich für übertrieben, gesteuert von einem narzistischen, mediengeilen Denken, ätzt er, gegen Leute, die solche Fehler machen und sich auch noch als Lebensretter feiern lassen, bin ich einfach allergisch.


Im Nachhinein ist man immer klüger, das ist eine Binsenweisheit. Die Intention, dieses Forum zu eröffnen, lag nicht darin, mit erhobenem Zeigefinger den Gescheiten herauszukehren, sondern eine Diskussion über Sicherheit an Bord in Gang zu setzen – auch und im speziellen, wenn der Leistungsaspekt beim Segeln im Vordergrund steht. Sich vor einem Unfall und möglichen tragischen Konsequenzen zu schützen, geht uns alle an, ob am Meer oder in der Heimat unterwegs.


Haben Sie übrigens gewußt, daß es im Vorjahr am Bodensee 123 Seenotfälle gab, bei denen 9 Tote und 23 Verletzte zu beklagen waren?

 

Judith Duller-Mayrhofer