Ein unglaubliches Szenario: mitten auf dem Ozean, alleine auf einem Schiff und ohne Hoffnung auf Hilfe. Ein Skipper beisst sich die Zunge ab und näht sie sich mit Hilfe eines Spiegels wieder an. Das ist keine Phantasiewelt aus einem Fildmstudio, sondern passierte dem französischen Einhandsegler Bertrand de Broc vor einigen Jahren auf seiner Weltumsegelung. Dieser medizinische Zwischenfall hätte auch anders ausgehen können, doch De Broc wurde fast zu einem Held - der Mann, der diese ungewöhnliche medizinische Selbstversorgung ermöglicht hatte, blieb dabei im Hintergrund. Dr.Jean Yves Chauve leitete den Skipper wie ferngesteuert an. Seit Jahren erforscht der Mediziner mit Bayer France die realistischen Möglichkeiten einer ärztlichen Fernbehandlung, und bezeichnet den Hochseeleistungssport selbst als sein ideales Forschungslabor.
Überall dort, wo grosse Distanzen eine schnelle medizinische Arbeit fast unmöglich machen, soll seine Arbeit greifen.
So betreut Dr. Chauve viele großen Hochseerennen. Zur Ausrüstung der Teilnehmer gehört eine 1200 Seiten dicke medizinische Fibel, die so aufgebaut ist, dass sie in der Regel auch medizinische Laien in die Lage versetzt, ein Krankheitsbild einzugrenzen oder eine Notsituation präzise zu beschreiben, um dann entsprechende Maßnahmen nach telefonischer Absprache des Arztes auszuführen. Um Verwechslungen bei beispielsweise ähnlich klingenden Medikamenten auszuschließen, werden im Buch Code-Nummern verwendet. Neben einer Bordapotheke bedient sich der Arzt modernster Technik. Ein Computer, sowie ein Satellitentelefon mit Internetanschluss gehört heute auf jede moderne Yacht.
So können mittels eines digitalen Stethoskops Herztöne oder Lungenfunktionen mit einer einfachen Audio-Datei via Internet einem Arzt zugeschickt werden. Auch ein EKG (Elektrokardiogramm) ist so zur Bestimmung von Herzfunktionen zu versenden. Ein Arzt entscheidet dann über Tausende von Kilometern entfernt, ob ein Krankheitsbild vorliegt, um gegebenfalls entsprechenden Massnahmen einzuleiten. Auch das digitale Foto kann dem Arzt helfen, sich ein besseres Bild über ein bestimmten Zustand zu machen.
Dr. Chauve versteht seine Arbeit allerdings nicht nur als Regattaarzt für Extremsegler, sondern auch als Hilfe für Langfahrtensegler. Auch in diesem Bereich hat das Internet völlig neue Perspektiven eröffnet. "Es gibt zwei grundsätzliche Problemstellungen. Einmal Risikogruppen, die bereits an einer Krankheit leiden, aber trotzdem mit einer Yacht auf die Reise gehen wollen. Und es sind unvorhersehbare Ereignisse an Bord, wie plötzlich auftretende Beschwerden oder Unfälle", so Dr. Chauve. Als Beispiel für chronisch Kranke, die sich sogar den Traum einer Weltumseglung bei einer Regatta zutrauen, nannte der Arzt den 57 jährigen Diabetiker John Dennis. Der beteiligte sich mit seiner Rennyacht "Bayer Ascensia" an der Einhandregatta "Around alone". Eine intensive Vorbereitung und die medizinische Betreuung durch das Internet ermöglichten nach Worten des Arztes auch einem Diabetiker eine Beteiligung an diesem Extremsport. John Dennis bekam durch die richtigen Medikamente und die Möglichkeit der Selbstkontrolle seine Blutzuckerwerte in den Griff. Aufgrund technischer Probleme gab er auf der dritten Etappe auf, aber: "my diabetes did not defeat me" (Meine Diabetes besiegte mich nicht), schrieb John Dennis in seinem e-mail an die Regattaleitung.
"In der zweiten Gruppe wird es schon schwieriger, denn jeder kann, egal wo er sich gerade befindet, plötzlich verunglücken, und ab einem gewissen Alter steigt das Krankheitsrisiko, vor allem aber die Wahrscheinlichkeit, ärztliche Hilfe zu beanspruchen oder sogar in eine lebensbedrohliche Situationen zu geraten", so Dr. Chauve. Genau hier setzt der Mediziner an. "Zunächst gehe es darum, zu unterscheiden, ob die beobachteten Symptome tatsächlich lebensbedrohlich sind", erklärt er. Wie konkret die medizinische Hilfe durch das Internet sein kann, macht er an einem Fall fest, der sich bereits vor 2 Jahren ereignete. Ein Jugendschiff war auf dem Weg von Autralien nach Bali, als plötzlich eines der Mädchen an einer akuten Atemnot litt. Ein Arzt konnte schnell über das Internet Herz und Lunge abhören, um festzustellen, dass es sich um einen Asthmaanfall handelte und nicht um eine Herzattacke. Die Audio-Datei hätte sogar in Sekundenschnelle einem Kollegen weitergeleitet werden können. Dabei taucht ein weiteres Problem auf. Im Ernstfall hätte ohne diese klare Krankheitsbestimmung eine falsche Behandlung an Bord stattfinden können, an deren Folgen man garnicht denken mag. Es geht also auch darum, an Bord befindliche Medikamente richtig einzusetzen.
Auch für ältere Wassersportler versteht Dr. Chauve sein Engagement, ihnen kann so mehr Sicherheit geben werden und der Segeltörn braucht nicht mit Ängsten belegt sein.
Diese neue Art der medizinischen Hilfe könne nach Worten des Arztes sogar auch an Land eingesetzt werden und würde für eine effektivere und kostensparende Versorgung sorgen. Unnötige Krankentransporte, Hubschraubereinsätze bei fehlenden oder gar falschen Informationen, und der zwangsläufig entstehende Zeitverlust nach einem Notruf bis zum Eintreffen des Arztes samt EKG-Gerät beim Patienten, könnte vermieden werden. Warum sollte der Internetanschluss zu Hause nur für das Runterladen von CD's genutzt werden, sogar eine EKG-Übertragung per Handy ist machbar, so Dr. Chauve.
"Es geht sicherlich nicht darum, mit eingeschränkten Möglichkeiten Ferndiagnosen und Therapien zu wagen, sondern den Arzt mit all den zur Verfügung stehenden und technisch geeigneten Hilfsmitteln auszustatten, die es dem Arzt ermöglichen, selbst aus Distanz sicher zu agieren. Was den Bayerkonzern anbetrifft, so verstehen wir unser Engagement, als einen Forschungsbeitrag, die ärztliche Versorgung medizinisch zu verbessern, wenn möglich auch die Kosten hierfür zu senken, so Isabelle Casse, Pressesprecherin der Bayer AG Frankreich".
Eines darf dennoch nie vernachlässigt werden, erklärt Dr. Chauve"es ist die Vorsorge. Vor jeder längeren Seereise, und ab einem gewissen Alter regelmässig, sind Arztbesuche unbedingt erforderlich. Auch die Kenntnisse der Ersten-Hilfe sollten regelmäßig aufgefrischt werden". Kontakt zu Dr. Chauve über: konradkubsich@aol.com