EUROPÄISCHES SEGEL-INFORMATIONSSYSTEM

Ziemlich verfranzt ...

von Wolfgang Mayerhofer, Silbermedaillengewinner Finn, Tallin 78



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Eine Seite über das oft kontrovers diskutierte Thema Steuermann (hier Stanglhalter genannt) und dem Vorschoter (= Franz): Ziemlich verfranzt

Franz gut, Stanglhalter schlecht - wenn ich recht gelesen habe, dann lehnt sich die Argumentationslogik eingefleischter Vorschoter an den Orwell?schen Slogan (four legs good, two legs bad) aus der Animal Farm an.
Was war passiert: Eine bekannt ehrgeizige Steuerfrau (Stanglhalterin) hatte ihren Vorschot-Franzen kurzerhand entlassen, um ihr Glück mit einem tatsächlich oder vermeintlich besseren Ersatz zu versuchen. Das hat einen Franzen aus tiefster Überzeugung zu einem empörten Leserbrief veranlaßt (YR 7/97), in dem er die von Spitzen-Stanglhaltern vertretene Auffassung über Nutzlosigkeit und Ersetzbarkeit eines Franz beklagte.

In einem Leserbrief läßt sich allerdings die interessante Steuermann/frau- VorschoterIn-Konstellation kaum vollständig entfalten. Deshalb an dieser Stelle einige ergänzende, z. T. provokativ zugespitzte Bemerkungen.

Spitzen-Stanglhalter wissen, wie wichtig Franzen sind - gerade deswegen sind sie wählerisch.
Kein Spitzensegler wird behaupten, es sei egal, wer vorne die Strippen zieht. Zwar gibt es je nach Bootsklasse unterschiedliche Grade der gegenseitigen Abhängigkeit, in jedem Fall aber gilt: Ein guter ist einem schlechten Franz vorzuziehen.
Wenn aber Franzen eine so wichtige Stellung halten, dann ist es logisch, daß Stanglhalter auf der Suche nach Erfolg auch den jeweiligen Franz kritisch hinterfragen.
Nicht als Ausdruck der Überzeugung, der Franz als solcher wäre beliebig austauschbar (= nutzlos), sondern im Gegenteil: Weil Franzen so wichtig sind, werden sie gegebenenfalls auch ausgetauscht.

Ober sticht Unter
Das legere Umfeld des Segelns verleitet dazu, eine Welt von Gleichberechtigten wahrzunehmen oder zumindest zu fordern. Das ist selbstverständlich Illusion.
So wie überall gibt es Machtunterschiede: Wer zahlt, schafft (letztlich) an. Zahlen bzw. Geld herbeischaffen gehört in aller Regel zu den vornehmen Aufgaben des Stanglhalters (daß das nicht notwendigerweise so ist, zeigt die Bigboat-Szene, wo die Geldgeber in durchaus unterschiedlichen Rollen an Bord agieren). Halbe-halbe zu fordern ist honorig, geht aber nur, wenn sich halbe-halbe auf alles bezieht.

Franzen werden (in gewisser Hinsicht) wie ein Segel oder Boot betrachtet Stanglhalter (Franzen) Beziehungen im Spitzensport sind keine Ehen (alten Typs), in denen Unauflöslichkeit und persönliche Verpflichtung zueinander im Vordergrund stehen und die Beziehung als solche Endzweck ist.
Vielmehr ist eine solche Paarung zunächst einmal eine Zweckbeziehung: Zwei oder mehr Personen haben sich auf Zeit zusammengeschlossen, um in gemeinsamer Anstrengung ein bestimmtes, meist hochgestecktes Ziel zu erreichen.
Im Vordergrund steht dabei die Zielerreichung und nicht Wohlfühlen, Freundschaft, Konstanz, Fairness etc.
Um einem breiten Aufheulen entgegenzuwirken: Klar gibt es das bei (machen) Spitzenteams, klar ist das förderlich, klar gibt es anständige und höchst unanständige Wege, mit Franzen umzugehen - nur: letztlich ist das alles zweitrangig. Kein Spitzensegler wird einen Franzen auf Dauer behalten, wenn er davon überzeugt ist, daß der Franz ein Hemmschuh für die Leistung sei. In dieser Hinsicht ist der Franz wie ein Segel oder Boot: Auch diese werden gewechselt, wenn es für zielführend gehalten wird (merke: gehalten wird und nicht ist!) Denn häufig sind subjektive und selbstwerterhaltende Zuschreibungen des Stanglers für einen Wechsel ausschlaggebend, und weniger die objektiven Gründe).

Andere Logik, andere Sitten
Die dominierende Grundlogik des Hochleistungssegelns lautet: Gesegelt wird in erster Linie, um Erfolg zu haben. Und wenn Erfolg der Maßstab ist, dann ist es nicht verwunderlich (sondern es wird sogar gefordert), daß dem Erfolg alles - und da gehören Franzen wegen ihrer Wichtigkeit dazu - untergeordnet wird.
Selbstverständlich ist das nicht die einzige Logik, die ein Regattasegler anwenden kann. Man kann auch am Regattageschehen teilnehmen und neben oder über den Erfolg Bekanntschaften, Abstand vom Alltag, Flucht vor der Familie, Bezug zur Natur, Faszination der Technik, Suche nach dem Besonderen und vieles mehr stellen. Unter einer solchen Logik hat auch die Beziehung zwischen Stanglhaltern und Franzen eine andere Basis. Mit Hochachtung und einer gewissen Ungläubigkeit nehme ich etwa dauerhafte Stanglhalter?Franz?Beziehungen wie Ullrich/Ittner im FD oder Sochovsky/Ochwart im Pirat wahr. Sie scheinen gleichsam unverbrüchlich die Jahrzehnte zu überdauern und sind Beispiele, die zeigen, daß es auch ganz anders zugehen kann. Nur ist - s. o. - hier wohl die dominierende Segellogik eine andere.
Fazit für die Franzen aus meiner Sicht: Wer sich unter Wölfe begibt, muß deren Spielregeln akzeptieren.