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Was passierte auf der "Selendang Ayu"?


von Peter O. Walter / Tim Schwabedissen


In schwere Bedrängnis geriet am 7. Dezember 2004 der 225 Meter lange, malaysische Bulkcarrier "Selendang Ayu". Nach Ausfall der Hauptmaschine 40 Meilen nordwestlich von Dutch Harbor, Alaska, begann er auf Bogoslof Island zuzutreiben.

Technische Daten

   Bei der unter Malaysia-Flagge registrierten "Selendang Ayu" handelt es sich nicht um einen Tanker, wie in der nebenstehenden Karte angegeben, sondern um einen Single Deck Bulk Carrier (Frachtschiff für schüttfähiges Massengutfracht wie z. B. Getreide oder Kohle), der am 8.9.1997 vom Stapel lief und im Januar 1998 vom chinesischen Hudong Shipyard abgeliefert wurde.
Er ist 225 Meter lang und 32,26 Meter breit. Die Vermessung beträgt 39.775 BRZ, die Verdrängung 74.893 tdw. Die "Selendang Ayu" war mit einer Ladung Sojabohnen und Getreide auf dem Weg von Tacoma nach China gewesen. Sie gehört der IMC Transworld, einer Untergruppe der in Singapur ansässigen IMC Group.

Rettungsversuche I: Die Schlepper

   Ron Campbell, Kapitän des Schleppers "James Dunlap", wäre wohl der einzige gewesen, der die "Selendang Ayu" noch hätte retten können. Als sein Schiff mit nur drei statt der normalen fünf Mann Besatzung nach einem wahren Höllenritt gegen den Sturm den Havaristenum erreichte, trieben Wellen in Höhe dreistöckiger Häuser ihn immer näher an die Küste.
   Eine Annäherung an den Rumpf des Frachters um weniger als 600 Fuß wäre lebensgefährlich gewesen. Der Schlepper hätte auf dessen Deck geschleudert werden können, wenn die Wellen ihn in die Höhe schleuderten.
   Es war vier Uhr morgens, und ein anderer Schlepper, die "Sydney Foss", hatte eine Schlepptrosse an dem Frachter festgemacht. Doch während der vergangenen zehn Stunden hatte er mit seinen 3.000 PS nur die Drift von vier auf zwei Knoten verlangsamen, aber nicht stoppen können.
   Dabei drohte er selbst umgerissen zu werden. Als Campbell die "Selendang Ayu" erblickte, wurde sie breitseits von den 35-Fuß-Wellen getroffen und war damit in allerhöchster Gefahr. Wäre es gelungen, sie gegen den Wind zu drehen, hätte es vielleicht eine Chance gegeben. Doch an Bord der "Dunlap" war keine Leinenschusspistole.
   Seit Jahren hatte der Kapitän der Küstenwache in den Ohren gelegen, für rund 50.000 Dollar eine entsprechende Ausrüstung, auch einen Kettenjäger zum Aufpicken an Ankertrossen, zu beschaffen und in Dutch Harbor zu lagern. Nur solche Vorrichtungen hätten jetzt die Rettung für die "Selendang Ayu" bedeuten können. Denn dann hätte die "James Dunlap" mit ihren 100 Fuß Länge, den 4.300 PS und dem Schottelpropeller ihre Kraft einsetzen können.
   Da sie aber ausgelegt war, Containerschiffe an die Piers zu bringen und nicht Frachter in Seenot zu retten, war sie zur Untätigkeit verdammt. Gegen sieben Uhr morgens am 8. Dezember später brach die Stahltrosse der 125 Fuß langen "Sydney Foss". Die Schleppercrew nahm die geborstene Trosse auf und bereitete eine erneute Übergabe vor. Die Strandung der "Senendang Ayu" machte alle Hoffnungen zunichte auf ein glimfpliches Ende des Seenotfalls ein Ende.
   Über Funk hörten die Schlepperkapitäne, dass sich an Bord des Frachters - durchaus vorschriftsmäßig - nur drei Überlebensanzüge befanden. Dieser Mangel spielte beim späteren Tod von sechs Besatzungsmitgliedern wahrscheinlich eine entscheidende Rolle.
   Einen Tag zuvor, um 3.30 am Morgen des 7. Dezember, hatte das Verhängnis seinen Lauf genommen, als die Maschine der "Selendang Ayu" ausgefallen war. Eineinhalb Stunden darauf war die "Alex Haley", die im Nordpazifik auf Patroullie gewesen war, zum Havaristen entsandt worden. Sie verfügte zwar über eine Leinenschusspistole, aber beteiligte sich nicht an Schleppversuchen.
   Um 10 Uhr morgens war die "Sidney Foss" aus Dutch Harbor ausgelaufen, die "James Dunlap" hatte den Hafen am Abend gegen halb acht verlassen. Zuvor hatte die Verantwortlichkeit für Bergungslohn geklärt werden müssen. Bei einem amerikanischen Schiff wäre der Einsatz wohl schneller erfolgt.

   Die "Sydney Foss" befördert mit ihrer 6-köpfigen Besatzung normaler Weise Frachtbargen nach Adak, verfügt aber für Notfälle über eine Leinenpistole. So ließ sie an diesem Morgen Barge Barge sein und nahm Kurs auf den Notfall.
   Am Havaristen angelangt, war es aber nicht möglich, auf Oberdeck zu arbeiten. Es war andauernd unter Wassermassen begraben. So arbeitete die Crew vom zweiten Deck aus, wobei ihr Schlepper von 25 Fuß hohen Wellen eingedeckt wurde.
   Ein glücklicher Schuss aus der unhandlichen Leinenpistole trug die Jagerline im ersten Anlauf auf das Deck der "Selendang Ayu". Darauf wurde eine dickere Leine aufgesteckt, dann die eigentliche stählerne Schlepptrosse.
   Als die Schleppverbindung stand, gelang es der "Sydney Foss" aber nicht, den Bug des Frachters aus dem Wind zu drehen. Man hoffte aber, den Frachter bis Tagesanbruch halten zu können. Wie man weiß, vergeblich.

   Nach der Strandung sagte Kapitän Campbell, niemand möchte, dass so etwas passiert, aber es möchte auch niemand für diese Dinge bezahlen. Beim Chef der Sicherheitsabteilung der Coast Guard in Alaska rannte er offene Türen ein, doch schrieben die Regularien der Küstenwache diese Ausrüstung nicht vor. Er selbst habe bisher nichts von den Forderungen Campbells gehört, würde sie aber nicht zurückweisen. Normalerweise kaufe die Regierung der USA aber keine Ausrüstung, um sie von privaten Firmen für ihren Job nutzen zu lassen.
   Als das Schiff ins seichtere Wasser kam, unternahm der Kapitän einen letzten verzweifelten Versuch und brachte beide Anker aus, um das Schiff vom Land und den Untiefen fernzuhalten. Auf dem (Bild 1) ist die zweite Ankerkette an Steuerbord nur schwer zu sehen. Bei den Wetterbedingungen (Bild 2) hielten beide Anker jedoch nicht.Währenddessen machten sich zwei Hubschrauber der Küstenwache startklar.

Die Katastrophe

   Die "Selendang Ayu" driftete weiter in Richtung der Untiefen. Am 8. Dezember hatte es darauf Grundberührung und schlug in flachem Wasser sofort leck. Bei Wellenhöhen von 5 Meter setzte der Rumpf immer wieder heftig auf den felsigen Untergrund auf.

Der Absturz des Rettungshubschraubers

   Inzwischen war klar, dass die Crew der "Selendang Ayu" nichts mehr tun konnte und in höchster Lebensgehr schwebte. Der Jayhawk-Helikopter war gegen 11 Uhr am Havaristen eingetroffen (Bild). Neun Mann der Besatzung wurden von ihm vom Vorschiff der "Selendang Ayu" aufgenommen und einzeln auf dem in der See rollenden Küstenwachkutter "Alex Haley" abgesetzt.
   Ein anderer Hubschrauber rettete weitere neun und setzte sie auf dem Strand ab, von wo aus sie von dem Jayhawk aufgenommen und nach Unalaska gebracht wurden, wo er auch neu betankt wurde. Zwischen der "Alex Haley" und dem Jayhawk wurde vereinbart, dass der kleinere Dolphin-Hubschauber des Kutters nicht eingesetzt würde, weil er zwei Flüge hätte machen müssen mit seinem geringeren Fassungsvermögen. Dies hätte bei dem herrschenden Wetter ein höheres Risiko dargestellt.

   So machte sich der Jayhawk-Helikopter bei extrem schlechter Sicht auf den Weg zur Abbergung der verbliebenen Crew, hoverte bei Windgeschwindigkeiten um 60 Knoten über dem von gewaltigen Brechern breitseits getroffenen Schiff und hatte einen Rettungskorb herabgelassen. Darin sollten die verbliebenen Männer im letzten Tageslicht geborgen werden.

   Das Unternehmen schien sich etwas einfacher anzulassen als die vorherigen Rettungsflüge, weil der auf Grund liegende Frachter sich nicht mehr so heftig bewegte wie zuvor. Die acht standen aber trotz Schneetreibens nur auf dem Vorschiff herum, trugen dabei lediglich leichte Kleidung und nur einfache Rettungswesten. Anders als während der Stunden der Drift lag der Frachter nun zudem in der Brandungszone der Küste und wurde fortwährend von elf Meter hohen Seen eingedeckt. Offenbar war der Frachter im Vorschiffsbereich nun auch schon leckgeschlagen, denn der Bug sackte tiefer ins Wasser und bot so zusehends weniger Schutz.
   Während die Piloten verzweifelt versuchten, ihre Maschine 30-40 Fuß über dem Deck auf Position zu halten, schaute die Deckscrew deren Rettungskorb untätig an.
   Daraufhin wurde ein Rettungsschwimmer abgewinscht und trieb die offenbar geschockten Seeleute an, nacheinander in den Korb einzusteigen. Die Wetterbedingungen wurden derweil immer schlechter: Kamen die schweren Seen den Tag über noch gestaffelt, so schien es jetzt nur noch schwere See zu geben. Der Pilot sagte kurz vor dem Absturz mehrfach, wow, dies ist eine große Welle. Dennoch blieb er auf Position, bis der siebente Mann aufgewinscht und in die Kabine gezogen worden war.
   Dann wurde der Helikopter von einer Wasserwand getroffen. Wasser schoss auch in die Kabine. Die Triebwerke fielen aus, und dann stürzte die Maschine in die See. Die Warnsignale gingen aus, rote Lichter leuchteten auf.
   Sofort begann sie schwer zu rollen. Durch die Cockpitfenster war nichts zu erkennen. Der Flugmechaniker rief "auf, auf auf". Die dreiköpfige Crew öffnete die Tür und konnte in ihren Überlebensanzügen aus dem rasch vollaufenden Cockpit entkommen. Im Wasser trieben bereits Öl und Trümmer.
   Eine Anzahl von Männern in Schwimmwesten trieben in den Wellen. Über der Absturzstelle stand der Dolphin-Hubschrauber der "Alex Haley". Er rettete erst einen schnell erreichbaren Mann der Jayhawk-Crew. Als ein weiterer von ihnen dem Rettungskorb nahe war, schwamm der zu einem Mann vom Frachter. Dessen Pupillen waren aber bereits starr, was auf seinen Tod hindeutete.
   So nahm der Offizier den Korb. Die in ihren Anzügen trocken und warm gehaltene Hubschraubercrew und ein Seemann der "Selenang Ayu" konnten aufgenommen und zum Küstenwachkutter gebracht werden. Für die leicht gekleideten weiteren Schiffbrüchigen gab es in der Sturmsee keine Rettung. Die Überlebenden sagten später aus, alles sei sehr schnell gegangen und wie das furchtbarste Flugsimulatortraining erschienen. Es sei irreal gewesen, aber wie im Training abgelaufen. Das Hubschrauberwrack wurde später am Strand angeschwemmt (Bild 1) (Bild 2).

Der Rumpf bricht

   Derweil spitzte sich auch die Situation auf der gestrandeten "Selandang Ayu" zu:
Durch das fortwährende harte Aufsetzen des Schiffsrumpfes kam es zu derartigen strukturellen Schäden, dass der Frachter begann, auseinanderzubrechen.
   Der an Bord verbliebene Kapitän und ein Rettungsschwimmer wurden einige Zeit später auch von Bord geholt, weil sich die Lage zuspitzte: Eine Stunde nach dem Absturz des Helikopters brach die "Selendang Ayu" zwischen Laderaum 4 und 5 mittschiffs auseinander. Das Vorschiff des Wracks liegt in rund 20 Metern Wassertiefe 200 Meter vor der Küste nahe einem Seelöwen- und Otterhabitat und Fischgründen. Das Heck liegt Richtung Strand auf einer Wassertiefe ziwischen 15 und 18 Metern, das Vorschiff weiter seewärts (Bild 4).

Ölpest befürchtet

   Der Frachter hat als Treibstoff 1.800 Tonnen Schweröl an Bord, etwa ein Drittel davon soll bereits ins Meer gelaufen sein. Außerdem stellte die amerikanische Küstenwache bei einem Flug über das havarierte Schiff fest, daß aus beiden Wrackteilen weiterhin Öl austritt.
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   Zuvor war es der Besatzung noch gelungen, das an sich sehr zähflüssige Schweröl in die innersten Tanks umzupumpen und die Beheizungssysteme abzuschalten, damit das abgekühle Öl eindickte. Einiges Öl ist bereits ausgelaufen. Es wurden bereits verölte Tiere gesichtet. Deutlich ist auf Bild 5 zu sehen wie Öl austritt.
    Die Umweltbehörde von Alaska bezeichnete den Ölverlust der Selendang Ayu” als sehr ernst": Es wird schwierig, dagegen vorzugehen. Es handelt sich um eine schwierige Art von Öl und einen empfindlichen Küstenabschnitt”, sagte ein Sprecher. Die Insel Unalaska zählt zum Naturschutzgebiet Alaska Maritime National Wildlife Refuge, das 2.400 Inseln und Inselchen umfasst und Brutstätte für 40 Millionen Seevögel ist. Außerdem leben in der Region seltene Meeressäuger, so etwa bedrohte Arten aus den Familien der Seeotter und Seelöwen.

    13.12.04 22:28 Uhr: Durch eine überraschende Wetterberuhigung waren die Chancen gestiegen, dass die drohende Ölkatastrophe verhindert werden kann. So konnte die Küstenwache am Sonntag (Ortszeit) eigenen Angaben zufolge drei Ölsperren zum Schutz von Fischen anbringen. Weitere Ausleger sollten in einer zweiten Bucht ausgebreitet werden.
    Als Ölsperren bezeichnet man Vorrichtungen, die eine Ausbreitung von Öl in offenen Gewässern unterbinden.
Da Öl leichter als Wasser ist und daher obenauf schwimmt, stoppt man die Ausbreitung, indem man eine Sperre, die ebenfalls auf der Wasseroberfläche schwimmt, errichtet. Nach einer erfolgreichen Eingrenzung des Ölfilmes kann das Öl abgeschöpft oder mit Ölbindemittel gebunden werden.

Kommentar von ESYS:

   Der von der Presse oft gebrauchte Vergleich mit der Tankerkatastrophe der Exxon Valdez im Jahre 1989 hinkt erheblich. Wir wollen hier beileibe nicht verharmlosen, aber:
Die "Exxon Valdez" war ein Tanker, der eine Ladung von rund 200.000 Tonnen nicht verarbeitetes Erdöl von der Sorte North Slope Crude an Bord hatte. Die "Selendang Ayu" hat nicht einmal ein Zehntel dessen an Bord, schließlich ist sie auch kein Öltanker, sondern ein Massengutfrachter, der das Schweröl als Treibstoff an Bord hat. Dazu kommt, dass unverarbeitetes Erdöl viel leichtflüssiger als Schweröl ist und erst dann verklumpt, wenn es am Strand anlangt. So besteht bei Wetterbesserung vielleicht noch die Möglichkeit den Schaden lokal zu begrenzen...


14.12.2004: Aus dem vor Alaska havarierten Frachtschiff ist nach Einschätzung der US-Küstenwache möglicherweise weniger Öl ausgetreten als zunächst befürchtet. In dem zerbrochenen Tank, der rund 530.000 Liter fasst, hätten sich nur knapp 156.000 Liter Bunkeröl befunden, sagte der von der Regierung mit den Ermittlungen betraute Kapitänleutnant Ron Morris am Montag. Auch ein zweiter Tank mit einem Fassungsvermögen von knapp 400.000 Litern wurde beschädigt, aber die Behörden gingen nicht von einem großen Leck aus.

15.12.2004: Ein gebrochener Zylinder war Schuld an der Strandung der "Selendang Ayu". Dies gab Lloyds jetzt bekannt. Nach dem Schaden war Wasser in die MAN B&W-Maschine eingedrungen. Deswegen hatten die Ingeneure sie gestoppt. Warum es dann nicht mehr gelang, die Maschine wieder anzufahren, ist bislang unbekannt. Ein gebrochener Zylinder kann die Fahrt eines Schiffes bis praktisch null herabsetzten. Das Auswechseln des Zylinders, während dessen die Maschine gestoppt sein muss, dauert normalerweise sieben bis acht Stunden. Bei der betroffenen Maschine handelt es sich um eine langsamlaufende MAN B&W 6S60MC, die in Lizenz vom Hudong Shipyard, der Bauwerft des OBO-Carriers, gebaut wurde.

Vorschiff der "Selendang Ayu" verschwand von Wasseroberfläche
(11.02.2005) - Dreiviertel des Öls der "Seledang Ayu" dürfte in die Bering-See aufgelaufen sein. Inspektionen mit dem ROV ergaben jetzt, dass entgegen der Hoffnungen von Experten zwei der Haupttanks, in denen noch Öl vermutet wurde, auf dem felsigen Grund aufgerissen sind. Die Arbeiten zum Abpumpen wurden jetzt eingestellt. Die Strände sind auch weitgehend vom Öl befreit. Die Wiederaufnahme der Reinigungsarbeiten wird für April erwartet. Am 9. Februar war von der "Selendang Ayu" nur noch die hintere Hälfte zu sehen. Kurz nach Beginn der Taucharbeiten des ROV versank das Vorschiff vollständig.
Quelle: Tim Schwabedissen